Der Dunkelmaterie auf der Spur: Eine Schwingung galaktischer Ausmaße modellieren

30.01.2019

Die Astrophysikerin Tanja Rindler-Daller erhielt für ihr Projekt zur „Kosmologie und Strukturbildung von Skalarfeld-Dunkelmaterie“ ein Elise-Richter Stipendium des FWF. Im Interview erklärt sie ihr Forschungsfeld, berichtet von ersten Ergebnissen aus dem vorangegangen Lise-Meitner-Projekt und schildert ihren persönlichen Karriereweg.

In Ihren Forschungen am Institut für Astrophysik widmen Sie sich der dunklen Materie im Kontext der Entwicklung des Universums. Ganz grundlegend gefragt: Wenn dunkle Materie sich nicht messen lässt, woher weiß man dann, dass sie da ist?

Tanja Rindler-Daller: Wir können mit Hilfe der Gravitationsgesetze beispielsweise die Bildung von Galaxien vorausberechnen. Doch diese Berechnungen weichen von der Realität ab: Beobachtungen zeigen, dass sich Sterne in Galaxien oder Galaxien in größeren Ansammlungen anders bewegen. Es scheint mehr Masse da zu sein, als man beobachten oder messen kann – es muss also eine dunkle Materie geben. Die Frage ist nur: Was ist die dunkle Materie?

Diese Frage versucht man nun schon etliche Jahrzehnte zu beantworten – ein Durchbruch blieb bisher aber aus. Wo steht die Forschung derzeit?

Rindler-Daller: Die meisten ForscherInnen suchen nach einem neuen Teilchen, das im Prinzip messbar sein sollte, aber mit bekannten Teilchen nur sehr schwach wechselwirkt. Der prominenteste Kandidat ist das so genannte WIMP-Teilchen. Obwohl man schon seit mehreren Jahrzehnten danach sucht, hat man es bisher nicht detektiert. Im Gegenteil: Durch Beobachtungen, aber auch durch Suchexperimente in tief gelegenen Höhlen –  so sollen Störfaktoren ausgeschlossen werden – oder in Teilchenbeschleunigeranlagen wie dem CERN hat man die WIMP-Teilchen mehr und mehr eingeschränkt: Der Spielraum für die mögliche Masse, den Drehimpuls oder die Kopplung zu normalen Teilchen wird immer kleiner.

Der Spielraum für die WIMP-Teilchen wird immer kleiner.

Würde denn dieses Modell die Struktur des Universums erklären?

Rindler-Daller: Das WIMP-Modell stimmt auf großen Skalen sehr gut mit den astronomischen Beobachtungen überein, hat aber Schwierigkeiten, die Dynamik innerhalb von Galaxien zu reproduzieren. Laut Modell müsste es hundertmal mehr Zwerggalaxien geben beziehungsweise viel mehr kleine Satellitengalaxien um die Milchstraße kreisen, als man tatsächlich beobachtet. Auch die Dichte der dunklen Materie in den Zentren von Galaxien wäre viel höher, als wir es indirekt messen.

In Ihrem Projekt beschäftigen Sie sich nun mit einem anderen Kandidaten für die dunkle Materie – der Skalarfeld-Dunkelmaterie.

Rindler-Daller: Ja, genau. Die Wurzeln für dieses Forschungsfeld reichen auch schon einige Zeit zurück, aber es ist in den letzten drei Jahren geradezu explodiert. Mittlerweile beschäftigen sich viele Forschungsgruppen mit der Skalarfeld-Dunkelmaterie – und es gibt noch sehr viel zu tun.

Was kennzeichnet nun diese Form der dunklen Materie?

Rindler-Daller: Die Idee ist, dass es sich um ultraleichte Teilchen handelt, noch viel leichter als die bekannten Neutrinos. Dass sie so leicht sind, würde auch erklären, warum sie noch nicht detektiert wurden – sie sind sehr, sehr schwer nachzuweisen.

Man könnte sagen, die Bosonen schwingen kollektiv, wie eine kohärente Welle mit mehr als 3000 Lichtjahren Durchmesser.

Diese Teilchen, so die Hypothese, sind Bosonen, das heißt, sie können einen Kondensat-Zustand bilden – das so genannte Bose-Einstein-Kondensat. Vereinfacht gesprochen können sie physikalisch in denselben Zustand gehen. Man könnte sagen, sie schwingen kollektiv, wie eine kohärente Welle. Und diese Welle, in der sehr, sehr viele Teilchen im kollektiven Verbund schwingen, hätte laut Modell galaktische Ausmaße – wir sprechen hier von mehr als 3000 Lichtjahren Durchmesser.

Würden diese Kandidaten auch die Zahl von Zwerggalaxien und Satellitengalaxien genauer modellieren?

Rindler-Daller: Das Modell sagt im Groben voraus, dass durch diese riesige Welle der Bosonen die Bildung von Strukturen unterhalb dieser Skala unterdrückt wird: Das würde erklären, warum es weniger Zwerggalaxien gibt, zu erwarten wäre auch eine niedrigere Dichte von dunkler Materie in den Zentren von Galaxien. Doch es ist das Ziel des Projektes, das zu überprüfen und durchzurechnen.

Das Projekt ist somit direkt an der Schnittstelle von Teilchenphysik und Astrophysik angesiedelt.

Rindler-Daller: Das stimmt. Außerdem hat das Bose-Einstein-Kondensat natürlich viel mit grundlegender theoretischer Physik zu tun – aber als Astrophysikerin möchte ich einen engeren Konnex zu den Beobachtungen haben. In meiner Arbeit modelliere ich zunächst diese alternativen Kandidaten neu und frage beispielsweise: Wenn die Bosonen anderen Bewegungsgleichungen folgen, welche Konsequenzen hätte das für die Strukturbildung von Galaxien? Und wie würde sich die Dynamik innerhalb von Galaxien ändern? Oder: Wie ändert sich die Expansionsgeschichte des Universums mit dieser Form der dunklen Materie, was ändert sich im Vergleich zum Standardmodell? Diese Dinge muss man dann eben im Detail durchrechnen.

Diese Dinge muss man dann eben im Detail durchrechnen.

Zur Expansionsgeschichte des Universums haben Sie ja auch schon in einem Lise-Meitner-Projekt geforscht.

Rindler-Daller: In meinem Lise-Meitner-Projekt ging es um die kosmologische Seite, also darum, wie die Expansionsgeschichte des Universums aussieht, wenn man diese Skalarfeld-Dunkelmaterie mit berücksichtigt. Im Elise-Richter-Projekt möchten wir noch mehr in die Strukturbildung selbst hineingehen, wie sich also aus kleinsten anfänglichen Störungen größere Strukturen – also letztlich dann eben Galaxien – bilden können. Auch die Dynamik innerhalb von Galaxien möchten wir uns jetzt in diesem Projekt genauer ansehen.

Gibt es große Unterschiede in der Zeit nach dem Urknall, wenn man diese Form der Dunkelmaterie voraussetzt?

Rindler-Daller: Ja, es gibt Abweichungen zum Standardmodell der Kosmologie in der Frühzeit des Universums. Es stellte sich heraus, dass die Skalarfeld-Dunkelmaterie sogar über alle anderen kosmischen Komponenten, selbst Strahlung, dominieren kann – sehr, sehr früh im Universum, zu einer Zeit, wo sich die Elemente noch nicht gebildet haben, bereits während eines winzigen Bruchteils einer Sekunde nach dem Urknall.

Sehr, sehr früh im Universum kann die Skalarfeld-Dunkelmaterie sogar dominieren.

Die Auswirkungen auf verschiedene Größen müssten messbar sein: auf die Elementhäufigkeit, auf die kosmische Hintergrundstrahlung, und – das war das Neue – auch auf Gravitationswellen. Wir konnten also Vorhersagen machen, zum Beispiel für das LIGO-Projekt (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory), das damals die ersten Messungen von Gravitationswellen publiziert hatte, und für weitere, die in den nächsten Jahren online gehen. Dabei sagen wir zum Beispiel einen gewissen Hintergrund an Gravitationswellen voraus.

Und wenn dieser nicht gemessen wird?

Rindler-Daller: Sollten die Messungen unsere Voraussagen nicht bestätigen, hätte das wieder Konsequenzen für uns, denn dann müssten wir die Eigenschaften unserer Bosonen einschränken. Bisherige Messungen führten in der Tat schon zu Einschränkungen von Parameterbereichen, wie wir zeigen konnten.  Eine zentrale Aufgabe der Community besteht generell darin, Modellparameter für die dunkle Materie immer besser einzugrenzen.

Eine zentrale Aufgabe der Community besteht generell darin, Modellparameter für die dunkle Materie einzugrenzen

Wie sind Sie zu dem Thema der dunklen Materie und dann speziell der Skalarfeld-Dunkelmaterie gekommen?

Rindler-Daller: Ich habe Astronomie und Physik studiert und war immer interessiert an der galaktischen Dynamik. Für mein Doktorat in Theoretischer Physik wechselte ich dann in das damals hochaktuelle Gebiet der Labor-Bose-Einstein-Kondensate. In einer Tagung Ende 2009 habe ich dann über Skalarfeld-Dunkelmaterie erfahren, und sah überraschende Berührungspunkte. Das stellt ein sehr interdisziplinäres Feld dar – denn Kenntnisse beider Bereiche haben nicht viele: PhysikerInnen kümmern sich im Normalfall nicht um das Problem der dunklen Materie, außer sie arbeiten in der Teilchenphysik. Auf der anderen Seite haben AstrophysikerInnen meistens nichts mit Bose-Einstein-Kondensaten zu tun. Im Bereich der dunklen Materie ergibt sich eine Schnittstelle.

Sie haben dann dazu an mehreren Forschungsinstitutionen in den USA geforscht.

Rindler-Daller: Ja, ursprünglich war dort nur ein Postdoc geplant, aber dann wurden fast sechs Jahre daraus. Durch das Lise-Meitner- und nun Elise-Richter-Stipendium konnte ich wieder in Wien Fuß fassen. Ich möchte mich jetzt gerne hier habilitieren. Schön finde ich auch, dass über das Projekt zwei Masterstudierende angestellt werden können.

Wie kann man sich Ihren normalen Arbeitsalltag vorstellen – findet alles vor dem Computer statt?

Rindler-Daller: Das meiste: Berechnungen durchführen, Programmieren, Code adaptieren – man sitzt schon viel vor dem Computer. Aber manche Rechnungen mache ich auch mit Bleistift und Papier, analytische Rechnungen auf Papier. Da kann man sich irgendwo hinsetzen und nachdenken, quasi offline. Das sind dann auch schöne Zeiten. Die harten Zeiten sind die, in denen man das implementiert; schließlich funktioniert nicht immer alles so glatt. Aber de facto ist es Rechnen und Programmieren. Ich bin außerdem auch in der Grundlehre und forschungsgeleiteten Lehre sehr aktiv und freue mich besonders, mehr Frauen für die theoretische Arbeit zu begeistern: Ich hatte bis jetzt nicht weniger Studentinnen als Studenten.

Ich freue mich besonders, mehr Frauen für die theoretische Arbeit zu begeistern: Ich hatte bis jetzt nicht weniger Studentinnen als Studenten.

Was hat Sie ursprünglich zur Astronomie und Physik gebracht?

Rindler-Daller: Da war mein Vater prägend, er war Programmierer von mathematisch-numerischen Algorithmen und sehr interessiert an Astronomie. Ich habe mit zwölf Jahren, damals eigentlich in der Hauptschule, begonnen, mich für Astronomie zu interessieren, bald darauf auch für Physik und Mathematik. Da entschied ich mich, zu studieren, wechselte ans Gymnasium und dann an die Uni. Ermöglicht haben das meine Eltern, obwohl sie selbst eher aus bescheidenen Verhältnissen kamen. Und ich habe diese Entscheidung nie bereut, das war mir immer eine Freude – auch wenn es schlussendlich ein anderer Brotberuf geworden wäre. (hw)

  • Der FWF fördert über ein Elise Richter-Stipendium das Projekt „Kosmologie und Strukturbildung von Skalarfeld-Dunkelmaterie“ für 48 Monate. Über die Projektsumme von rund 370.000 Euro werden zudem auch zwei Masterstudierende finanziert. Das Projekt leitet Tanja Rindler-Daller vom Institut für Astrophysik. In einem vom FWF über ein Lise-Meitner-Stipendium gefördertes Projekt erforschte sie zuvor die Expansionsgeschichte des Universums unter Berücksichtigung der Skalarfeld-Dunkelmaterie.
Tanja Rindler-Daller

Die Astrophysikerin Tanja Rindler-Daller erforscht im Rahmen eines Elise-Richter-Stipendiums, wie die Skalarfeld-Dunkelmaterie die Bildung von Strukturen des Universums wie Galaxien und Zwerggalaxien beeinflussen würde. © privat

 

Dunkelmaterie in Galaxien als Bose-Einstein-Kondensate künstlerische Darstellung)

Die Theorie besagt, dass dunkle Materie aus Bosonen bestehen könnte, die einen Kondensat-Zustand bilden können – das so genannte Bose-Einstein-Kondensat. "Man könnte sagen, sie schwingen kollektiv, wie eine kohärente Welle. Und diese Welle, in der sehr, sehr viele Teilchen im kollektiven Verbund schwingen, hätte laut Modell galaktische Ausmaße – wir sprechen hier von mehr als 3000 Lichtjahren Durchmesser", erklärt Tanja Rindler-Daller im Interview (im Bild eine künstlerische Darstellung dieser Form der Dunkelmaterie).

Astronomische Aufnahme des Galaxienhaufens "Pandora" © ESO & D. Coe (STScI)/J. Merten (Heidelberg/Bologna)

Die Skalarfeld-Dunkelmaterie würde, so die Annahme, die Zahl der Zwerggalaxien Satellitengalaxien sowie die Dichte der dunklen Materie in den Zentren der Galaxien besser abbilden als die WIMP-Teilchen. Im Bild eine astronomische Aufnahme des Galaxienhaufens "Pandora" © ESO & D. Coe (STScI)/J. Merten (Heidelberg/Bologna)