Derzeit erwärmen die zunehmenden Treibhausgas-Emissionen unsere Erde in einem noch nie dagewesenen Tempo und Ausmaß. Auch wenn es keine direkten Parallelen gibt, können Warmzeiten in der Erdgeschichte dennoch Hinweise auf die Zukunft liefern, beispielsweise in Bezug auf die Zukunft der antarktischen Eisschilde.
Vor diesem Hintergrund untersuchte ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Cambridge, was mit dem westantarktischen Eisschild während der letzten Warmzeit vor über 100.000 Jahren geschah. In dieser Zeit war es in den Polarregionen etwa 3°C wärmer als heute und der Meeresspiegel lag deutlich höher.
Eisschild schrumpfte, verschwand aber nicht völlig
Die kürzlich in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass der westantarktische Eisschild während der letzten Warmzeit zwar erheblich schrumpfte, aber nicht völlig verschwand; das nahe gelegene Ronne-Schelfeis blieb in etwa in seiner heutigen Ausdehnung erhalten. „Die Untersuchung der Anfälligkeit dieses Eisschildes während der letzten Warmzeit könnte uns helfen, besser vorherzusagen, wie das Eis des Kontinents in Zukunft reagieren wird“, so Eric Wolff, Hauptautor der Studie von Cambridge Earth Sciences.
Der westantarktische Eisschild enthält genug Süßwasser, um den Meeresspiegel um etwa 3-4 Meter anzuheben. Dieser Eisschild ist durch die globale Erwärmung besonders gefährdet, weil seine Schüsselform es dem Meerwasser ermöglicht, unter seinen Rand zu fließen und seine Basis langsam zu schmelzen. Das Ronne-Schelfeis erstreckt sich vom Eisschild in den Atlantischen Ozean und bildet eine schwimmende Plattform, die wie ein Stützpfeiler wirkt und die Gletscher im Landesinneren zurückhält und schützt.
Klimaaufzeichnungen bisher unvollständig
Bisher konnten Wissenschaftler*innen nicht mit Sicherheit sagen, ob der Westantarktische Eisschild und die angrenzenden Schelfeisflächen während der letzten Warmzeit, einer Zwischeneiszeit, vollständig verschwunden sind. „Es ist erstaunlich, dass wir ein so großes Ereignis wie das Verschwinden eines ganzen Eisschildes in unseren Klimaaufzeichnungen bisher weder bestätigen noch dementieren konnten“, sagt Wolff.
651 Meter tief gebohrt
Auf der Suche nach Antworten bohrten Wolff und sein Team einen 651 Meter langen Eisbohrkern beim Skytrain Ice Rise, einer Küstenkuppel neben dem Ronne-Schelfeis. Der Ort liegt nahe genug am Westantarktischen Eisschild, um dessen Schrumpfung zu beobachten, ohne dass er dabei selbst beschädigt wird. Die Forscher verbrachten zwei Monate im Jahr 2019 mit Bohrungen bei Minusgraden und Schneestürmen.
Durch die Analyse der Wasserisotopenzusammensetzung im Eisbohrkern fanden die Forscher*innen heraus, dass der westantarktische Eisschild in diesem Zeitraum teilweise verloren ging und auf etwa die Hälfte seiner heutigen Masse schrumpfte.
Wasserisotopen verraten Ausmaß des Schrumpfens
“Modellsimulationen zeigen, dass ein Verschwinden des Westantarktischen Eisschilds zu einer anderen Wasserisotopenzusammensetzung bei Skytrain Ice Rise führen würde als ein intakter Westantarktischer Eisschild. Die Messungen der Wasserisotope im Eisbohrkern geben deshalb Auskunft darüber, ob und um wieviel der Eisschild in der letzten Warmzeit schrumpfte”, sagt Marina Dütsch, Forscherin an der Universität Wien und Mitautorin der Studie.
Meersalzgehalt zeigt Ausdehnung des Ronne-Schelfeises
Die Forscher*innen maßen auch den Meersalzgehalt des Eisbohrkerns, um die Menge der Gischt und damit die Nähe der Bohrstelle zur Küste zu bestimmen. Dieser Datensatz zeigte, dass das Ronne-Schelfeis eine ähnliche Ausdehnung wie heute hatte. „Wir sehen, dass sich das Eisschild zurückzog, aber nicht, dass das Ronne-Schelfeis zusätzlich verschwand“, so Wolff.
Dies ist nicht der katastrophale Zusammenbruch des Eisschilds, den einige Modellrekonstruktionen für diese Zeit vermuten lassen. Aber, so Wolff, „wir wissen trotzdem, dass der Meeresspiegel zu dieser Zeit deutlich höher war“. Wissenschaftler*innen haben eindeutige Beweise dafür, dass der Meeresspiegel während der letzten Zwischeneiszeit mehrere Meter über dem heutigen Niveau lag. Der Verlust des westantarktischen Eisschildes galt als der wahrscheinlichste Grund dafür.
Woher kam dann der Anstieg des Meeresspiegels?
„Die Eisschmelze für diesen Anstieg des Meeresspiegels musste irgendwoher kommen, also müssen wir uns jetzt fragen, woher sie sonst noch gekommen sein könnte“, sagte Rachael Rhodes, Mitautorin der Studie von Cambridge Earth Sciences. „Es könnte sein, dass wir neu bewerten müssen, ob der ostantarktische Eisschild auch eine wichtige Quelle für Süßwasser war.“ Obwohl der ostantarktische Eisschild viel mehr Wasser speichert als der westantarktische Eisschild (genug, um den Meeresspiegel um etwa 52 Meter anzuheben), gilt er im Allgemeinen als stabiler und widerstandsfähiger gegenüber Erwärmung.
Laut Marina Dütsch von der Universität Wien werden die Ergebnisse der aktuellen Studie jedenfalls maßgeblich dazu beitragen, die Modellsimulationen zu verbessern, mit denen vorhergesagt wird, was mit den Eisschilden geschehen könnte, wenn sich unser Klima erwärmt. Bisher stellte das Schicksal und die Stabilität des Westantarktischen Eisschilds eine der größten Unsicherheiten bei langfristigen Meeresspiegelprognosen dar, einschließlich derjenigen des Weltklimarates IPCC.
Publikation
Wolff, E. W. et al. The Ronne Ice Shelf survived the last interglacial. Nature https://doi.org/10.1038/s41586-024-08394-w (2025).