Überleben und Wiederaufbau nach Katastrophen erforschen

14.05.2018

Wie es verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Inselreich Indonesien gelingt, nach menschgemachten oder Naturkatastrophen ihre Existenz wieder aufzubauen, wird im Rahmen des ASEA-UNINET-Netzwerks von der Gadjah-Mada-Universität in Yogyakarta gemeinsam mit der Universität Wien erforscht. Im Forschungstandem werden betroffene Bevölkerungsgruppen dazu befragt, wie sie sich ihre Lebensgrundlagen nach Katastrophen neu aufbauen.

Vom Zuhören beim Gastvortrag zum gemeinsamen Forschen dauerte es nur drei Monate. Im Juni 2017 sprach  Bambang Hudayana im Rahmen seiner Erasmus+-Gastprofessur über seine Forschung in Zentral-Java. Der Leiter des Instituts für Sozial- und Kulturanthropologie der Gadjah-Mada-Universität in Yogyakarta (Indonesien) berichtete über die Anpassungsleistungen der lokalen Bevölkerung nach dem letzten Ausbruch des Vulkan Merapi (Feuerberg) 2010.

Im Publikum saß auch Indonesienkenner Gunnar Stange, Sozialanthropologe mit den Schwerpunkten Friedens- und Konfliktforschung, Entwicklungsforschung sowie Flucht und Vertreibung. Er ist Teil der Wiener Arbeitsgruppe für Bevölkerungsgeographie und Demographie am Institut für Geographie und Regionalforschung, die unter der Leitung von Patrick Sakdapolrak zu den Themenkomplexen Bevölkerung, Umwelt, Entwicklung und Migration arbeitet.

Geteilte Forschungsinteressen

Entsprechend rasch waren sich die beiden Forscher einig, dass es zahlreiche Anknüpfungspunkte und geteilte Forschungsinteressen zwischen der Geographie der Universität Wien und der Kultur- und Sozialanthropologie der Gadjah-Mada-Universität gibt.

Im September 2017 wurde – im Rahmen des ASEA-UNINET-Netzwerks, das Kooperation zwischen Europa und Südostasien fördert – ein erstes gemeinsames Projekt unter der Co-Leitung von Bambang Hudayana, Anton Novenanto und Gunnar Stange durchgeführt und in Folge ein Fakultätsabkommen zwischen dern Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie der Universität Wien sowie der Faculty of Cultural Science der Gadjah Mada Universität abgeschlossen.

Gunnar Stange hat viel in Indonesien gearbeitet, einem Staat mit 17.000 Inseln und 260 Millionen Menschen. Ihn interessiert, wie verschiedene Bevölkerungsgruppen mit gravierenden Umweltveränderungen umgehen, seien sie plötzlich (wie ein Vulkanausbruch) oder langsam voranschreitend.

Schlammvulkan nach schlecht abgesicherten Erdgasbohrungen

Geforscht wurde in Sidoarjo, in der Provinz Jawa Timur (Ost-Jawa), einer sehr industriell geprägten Gegend mit zahlreichen verarbeitenden Betrieben. In der Folge schlecht abgesicherter Erdgasbohrungen eines Erdgas- und Erdölunternehmens brach sich im Mai 2006 ein Schlammvulkan Bahn. Seiher spuckt dieser schwermetallbelastete Fontänen: „Wenn man auf dem Kraterrand steht, glaubt man die Erde ist wüst und leer. Da singt kein Vogel, da kriecht kein Tier. Da ist nur das Nichts und der Wind“, beschreibt Gunnar Stange die Endzeitstimmung. Der Schlamm hat nicht nur Dörfer und Betriebe unter sich begraben, sondern verseucht auch Flüsse und verursacht mutmaßlich Atemwegserkrankungen.

Obwohl zehntausende Menschen Arbeitsplatz und Zuhause verloren haben, wurde die Katastrophe von der Regierung nie offiziell anerkannt. Geschädigte wurden also nicht umfassend entschädigt. Das verantwortliche Unternehmen hat verschiedene  (finanzielle) Kompensationen gewährt.

Erste Forschungsergebnisse

Im gemeinsamen Forschungsprojekt wurden zwei Gruppen von Umgesiedelten zum Wiederaufbau ihrer Existenz zehn Jahre nach dem Ausbruch befragt. Die Datenauswertung ist noch im Gange: „Wir sehen, dass sich beide nicht vollständig erholt haben. Jenen, die sich den Ort der Wiederansiedlung selbst gewählt haben, geht es heute etwas besser, als jenen, die in einen fertig errichteten Gebäudekomplex des Unternehmens gezogen sind“. Aus den Projektergebnissen sollen letztlich Empfehlungen für weitergehende Unterstützungsmaßnahmen seitens der Lokalregierung abgeleitet werden.

Die Kooperation zwischen der Universität Wien und der indonesischen Eliteuniversität mit eigenen Forschungsmitteln erfolgt auf Augenhöhe. In einem Folgeprojekt ist geplant, den Vulkan Merapi und Sidoarjo als Fallstudien zu vergleichen. Mit Mobilitätsmitteln aus ERASMUS+ sollen Doktoratsstudierende ab 2019 im Tandem mit Kollegen und Kolleginnen in Yogyakarta forschen.

ASEA-UNINET unterstützt den Aufbau langfristiger Kooperation mit Mitteln für Reise und Aufenthalt: „Das Abkommen etabliert sich Schritt für Schritt. Wir können lokale Netzwerke nützen, gemeinsam publizieren und gerade für junge Forschende aus Wien ist das eine Chance, im Ausland zu arbeiten“.

  • Agreement on Academic Collaboration: Das ASEAN-European Academic University Network (ASEA-UNINET) initiiert und fördert Forschungskooperationen mit Universitäten in Südostasien. Im Rahmen des Netzwerks wurde eine Kooperation zwischen der Faculty of Cultural Science der Gadjah Mada Universität und der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie der Universität Wien etabliert. Die Kooperation im Bereich Forschung zu Existenzsicherung, Migration und Umwelteinflüssen soll mittelfristig ausgeweitet werden auf Forschung, Lehre und den Austausch von Lehrenden und Studierenden. Dafür hat die Universität Wien bereits Mobilitätsmittel für PhD-Studierende im Programm  Erasmus+ der EU beantragt. Derzeit wird eine vergleichende Studie zum Thema Überleben und Existenz nach Naturereignissen und menschgemachten Katastrophen in Südostasien (Schlammvulkan Sidoarjo und Vulkan Merapi) erarbeitet.
    Laufzeit: Fünf Jahre
    Projektverantwortliche:
    Gunnar Stange, Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien
    Bambang Hudayana und Anton Novenanto, Department of Anthropology, Faculty of Cultural Science, Universitas Gadjah Mada, Yogyakarta, Indonesien
Kunstinstallation

Kunstinstallation des indonesischen Künstlers Dadang Christano. Das Kunstwerk besteht aus 110 Statuen und wurde 2014 im Krater des Schlammvulkans Sidoarjo errichtet. (Source: G. Stange, 2017)

Gunnar Stange

Zur Person: Gunnar Stange ist Universitätsassistent post-doc mit einem regionalen Fokus auf das insulare Südostasien am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Er hat am Institut für Ethnologie der Goethe-Universität in Frankfurt am Main promoviert. In der Arbeitsgruppe für Bevölkerungsgeographie und Demographie arbeitet er zu den Themen Friedens- und Konfliktforschung, Entwicklungsforschung sowie Flucht und Vertreibung.