Das Experiment im Experiment: Digitale Real-Labore in der Lehre

Das Experiment im Experiment: Digitale Real-Labore in der Lehre

05.10.2021

CC, Alexandra Koch, Pixabay

Um das System Stadt zu verstehen, braucht es nicht nur Interdisziplinarität, sondern auch Transdisziplinarität. Die erforderlichen Methoden lernen die Studierenden am Institut für Geographie und Regionalforschung in so genannten „Reallaboren“, die im Sommersemester notgedrungen digital stattfanden. Die Arbeitsgruppe Urban Studies sowie beteiligte Studierende berichten in einem Blogbeitrag über ihre Erfahrungen mit digitalen Reallaboren und Rollenspielen zu Themen wie Urban Gardening oder Reparaturcafés.

Die Komplexität des Systems Stadt zu verstehen ist ein wichtiges Ziel der Lehrveranstaltungen der Arbeitsgruppe Urban Studies. Komplex sind die urbanen Herausforderungen und Prozesse sowie die Interessen und Rollen städtischer Akteur*innen. Diese Komplexität erfordert folglich nicht nur inter- sondern auch transdisziplinäre Denk-, Herangehens- und Arbeitsweisen. Doch was wird unter transdisziplinärer Stadtforschung verstanden, welche Forschungsansätze und Methoden kommen zum Einsatz und warum ist das auch für Studierende wichtig? Kerstin Krellenberg – Professorin für Urban Studies am Institut für Geographie und Regionalforschung – , Universitätsassistentin Nele Kress und Studienassistentin Malena Haas haben ihre Erfahrungen aus dem im Sommersemester 2021 am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien durchgeführten Proseminar „Transdisziplinäre Methoden in der Stadtforschung“ zusammengefasst und die Erfahrungen der Studierenden mit digitalen Reallaboren integriert.

Transdisziplinarität und Transformation

Transdisziplinäre Forschung ist wesentlich für die Entwicklung tragfähiger Lösungen für komplexe urbane Nachhaltigkeitsprobleme.

  • Transdisziplinarität: Dem transdisziplinären Forschungsansatz liegt zugrunde, dass nicht-akademische urbane Akteur*innen in den Forschungsprozess mit einbezogen werden, um reale gesellschaftliche Herausforderungen ausreichend zu adressieren, integratives Wissen und konkrete Lösungen für die Praxis zu produzieren und transformative Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit anzustoßen. Hier kommen unter anderem Ansätze des Co-Designs, der Co-Produktion und/oder der Co-Evaluation zum Einsatz.

Neben der Produktion von Systemwissen – der Problemanalyse systemischer Zusammenhänge – und Zielwissen – der Produktion von wünschenswerten (und normativen) Zukünften –, soll innerhalb transdisziplinärer Forschungsprozesse insbesondere auch Transformationswissen für eine nachhaltige Entwicklung generiert werden. Dieses Wissen über mögliche Transformationsprozesse kann über experimentelle Ansätze erprobt, weiterentwickelt und angewendet werden.

Transdisziplinärer und transformativer Forschungsansatz

Urbane Reallabor stellen einen solchen experimentellen, in der transdisziplinären und transformativen Stadtforschung heute oftmals angewendeten Ansatz dar. In der sogenannten Co-Produktionsphase generieren die Akteur*innen gemeinsam transformatives Wissen, indem sie mit unterschiedlichen Lösungsansätzen experimentieren, die kontinuierlich reflektiert und, soweit möglich, in die Praxis und die Wissenschaft zurückgespiegelt werden. In diesem Kontext kommen inter- und transdisziplinäre Methoden zur Anwendung, die den Austausch der verschiedenen Praxisakteur*innen und das gegenseitige Lernen unterstützen.

Urbane Reallabore in der (digitalen) universitären Lehre

Transdisziplinarität erfordert eine Offenheit aller Akteur*innen zum Austausch sowie von Seiten der planenden und durchführenden Personen u.a. besondere Kommunikationskompetenzen und gezieltes Methodenwissen. Diese Offenheit zu fördern sowie die Kompetenzen und das erforderliche Wissen zu vermitteln, sollte daher auch einen Platz in der universitären Lehre haben.

Zentrales Wissen und wesentliche Kompetenzen im Kontext transdisziplinärer Stadtforschung im COVID-19 bedingten Sommersemester 2021 zu vermitteln, stellte alle Beteiligten vor besondere Herausforderungen, bot aber auch Chancen.

So wurde das „universitäre Realexperiment“ konzipiert und umgesetzt: Planung und Durchführung Urbaner Reallabore ohne Praxispartner*innen, aber dafür als Rollenspiele mit der Einbindung aller Mitstudierenden und gänzlich digital. Fünf Reallabore zu unterschiedlichen Themen (Sicherheit, Mobilität, Sharing Economy, Öffentlicher Raum und Circular Econonmy) wurden in Gruppen von jeweils vier Studierenden erarbeitet.

Die Themenvorschläge stammten aus den Reihen der Studierenden. Die Durchführung der sogenannten „Reallabortage“ erfolgte jeweils im Rahmen einer Seminareinheit von 1,5 Stunden. Dabei spiegeln die Reallabortage die Co-Produktionsphase wieder, in der gemeinsam experimentiert und Transformationswissen erarbeitet werden sollten.

Einsatzmöglichkeiten transdisziplinärer Methoden und digitaler Tools

Was können wir für die Zukunft aus dem Proseminar im Sommersemester 2021 mitnehmen? Bei der Umsetzung der Reallabore und Erreichung ihrer selbst gesteckten Ziele zeigten die Studierenden viel Kreativität und setzten im Rahmen der digitalen Durchführung sehr unterschiedliche digitale Tools innovativ ein sowohl in der Vorbereitungs- als auch in der Nachbereitungsphase (siehe Bildergalerie).

Vor- und Nachteile der digitalen Reallabore

Gemeinsame Erkenntnisse

Das Eintauchen in reale städtische Umgebungen und Stakeholder-Rollen sowie die Implementierung verschiedener Methoden über Online-Tools eröffnete sehr gute Peer-Learning-Umgebungen für die Studierenden. Das digitale Setting stellte jedoch alle (Studierende und Lehrende) auch vor große Herausforderungen. Fehlende Mimik und Gestik erschwerten es in den intensiven Gruppenarbeitsprozessen, die sowohl die Vorbereitung als auch Umsetzung und Nachbereitung der Reallabore durchzogen, Emotionen zu erkennen und darauf zu reagieren, alle gleichermaßen zu integrieren und gemeinsam „zur Gruppe zu werden“. Auch die technische Umsetzung über Online-Konferenz-Tools war für die Studierenden herausfordernd, da hier eine detaillierte Planung, Moderationsfähigkeiten und hohe Flexibilität besonders gefordert waren.

Die digitale Umsetzung der Reallabore brachte aber auch Vorteile mit sich: Insbesondere der Einsatz von Online-Whiteboards half, Wissen gleichzeitig und interaktiv zu sammeln sowie Gruppendiskussionen strukturiert zusammenzufassen. Außerdem konnten im digitalen Lernraum bereits im Vorfeld der Reallabortage Hintergrundwissen bereitgestellt und Interaktionsmöglichkeiten realisiert werden (z.B. mit Hilfe von Videos, Zeitungsartikeln, Umfragen, Wordclouds, Kollaborativem Mapping). So konnten die Teilnehmenden bereits auf die Reallaborsituation eingestimmt werden.

Kompetenzen ausgebaut

Durch das transdisziplinäre Lernumfeld – geschaffen durch die digitalen Reallabore – wurde neues und transformatives Wissen zu komplexen realweltlichen Problemstellungen erarbeitet. Kompetenzen wie Moderation, Konfliktmanagement, Feedback geben, etc. wurden ausgebaut und interessante Einblicke in die Vielfalt der Interessen und Bedürfnisse gesellschaftlicher Akteur*innen gewonnen.

Dieses universitäre Realexperiment, mit der Besonderheit der digitalen Umsetzung studentischer Reallabore, birgt aus unserer Sicht viel Potential für die transdisziplinäre Stadtforschung. Vielleicht lassen sich die digitalen Tools ja auch sinnvoll in anderen experimentellen Settings nutzen? Um diese und andere Fragen zu diskutieren, organisierten wir auf der diesjährigen International Transdisciplinarity Conference (ITD) “Creating Spaces and Cultivating Mindsets for Learning and Experimentation” am 15.09.2021 eine Session zum Thema „Transdisciplinary learning spaces in a university context“. Mit dabei waren auch zwei unserer Studierenden – so konnten sie direkt aus ihrer Perspektive berichten, neue Ideen mitnehmen und Kontakte zu anderen Interessierten knüpfen.

Studentische Erfahrungen mit urbanen Reallaboren im digitalen Lernkontext