Gender und Diversität: "Viel Sensibilisierung passiert"

Gender und Diversität: "Viel Sensibilisierung passiert"

13.12.2021

Die "leaky pipeline" dichten: Um Frauen in der Wissenschaft zu halten, muss sich vieles ändern. Foto: CC, CINCINNATI on Pixabay.

Positive Trends, aber auch viel Handlungsbedarf für unsere Fakultät im Bereich Gender und Diversität orten Waltraud Schlögl (Abteilung Gleichstellung und Diversität) sowie die Mitglieder des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen, Stefan Meingast und Heidrun Edlinger. Ansetzen müsse man an vielen Ecken – vom Gender-Bias bei der Studienwahl über die Beurteilungskriterien bis hin zur „Wissenschaftskultur“. Andere Benachteiligungen – beispielsweise nach sozialer Herkunft, LGBTIQ oder Alter – sowie sexuelle Belästigung sollten an der Uni „breiter diskutiert werden“.

Entlang der Karriereleiter kommen der Wissenschaft nach wie vor viele Frauen abhanden. Und gerade an unserer Fakultät sind die Lecks in dieser „leaky pipeline“ beachtlich, wie die Zahlen des aktuellen Univie-Berichts Gender im Fokus 7 (Link) zeigen: Lag der Frauenanteil fakultätsweit bei den Praedocs 2021 immerhin noch bei 42 Prozent, so sinkt er bei Postdocs auf 37 Prozent und bei den Professor*innen auf nur 14 Prozent.

Frauenanteil unter den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie (Juni 2021). Quelle: Gender im Fokus 7, © Universität Wien

Frauenanteil unter den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie (Juni 2021). Quelle: Gender im Fokus 7: 91, © Universität Wien

 

Unausgeglichenes Geschlechterverhältnis

„Wir haben – besonders bei den Professuren – ein unausgeglichenes Geschlechterverhältnis", bestätigt Stefan Meingast, der gemeinsam mit Heidrun Edlinger die Fakultät im Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen vertritt. Gleichzeitig sei aktuell aber das Bewusstsein für die Problematik fakultätsintern sehr hoch, man arbeite gemeinsam daran, das Ungleichverhältnis zu ändern. „Da ist in den letzten Jahren viel Sensibilisierung passiert – man muss vieles nicht mehr rechtfertigen oder begründen“, sagt Edlinger. Doch diese Maßnahmen würden eben, sind sich die beiden einig, nicht von heute auf morgen greifen.

Heidrun Edlinger und Stefan Meingast (unten) vertreten die FGGA im Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen. Fotos: (C) Edlinger / Meingast

Im Gegenteil: „In Bezug auf die Gremienarbeit beißt sich die Katze sogar teilweise in den Schwanz“, sagt Meingast: Da in allen Gremien Frauen vertreten sein sollen, müssen einzelne Frauen überproportional mehr Gremienarbeit leisten, „das trifft dann immer die gleichen Frauen“ und kostet Zeit, die beispielsweise für Publikationen genutzt werden könnte.

Auch in der sonstigen Uni-Administration oder in der außerwissenschaftlichen leisten Frauen für gewöhnlich mehr (unbezahlte) Arbeit. Hinzu kommen allgemeine gesellschaftliche Ungleichheiten zurückzuführen, beispielsweise in Bezug auf Care-Arbeiten (wie Hausarbeit oder Pflege von Kindern oder älteren Angehörigen).

"Am Ende des Tages sticht bei Berufungen meist nur die wissenschaftliche Leistung"

Folgerichtig sind sowohl bei Publikationen als auch bei der Einwerbung von Drittmitteln Wissenschafterinnen an der Universität Wien, was sich auch im Bericht Gender im Fokus 7 zeigt, unterproportional vertreten. „Doch am Ende des Tages sticht dann – bei Berufungen – meist nur die wissenschaftliche Leistung“, so Meingast. Hier gelte es, das ganze System der Bewertung in der Wissenschaft zu hinterfragen und beispielsweise auch Gremienarbeit mit einfließen zu lassen, betonte auch Edlinger.

 

 

Publikationen und Drittmittel nach Gender


FGGA-Pipeline besonders leck

„Universitätsweit hat sich die Leaky Pipeline in den letzten Jahren deutlich verringert – so stieg der Professorinnen-Anteil von 12 Prozent im Jahr 2005 auf mittlerweile 33 Prozent“, sagt Waltraud Schlögl von der Abteilung Gleichstellung und Diversität der Universität Wien, „doch je nach Fachrichtung gibt es da eben große Unterschiede“. Im Formal- und Naturwissenschaftlichen Cluster, dem die FGGA angehört, ist der Anteil der Professorinnen mit 16 Prozent besonders niedrig. Einen niedrigeren Anteil als die FGGA (14 Prozent) haben an der Universität Wien nur noch die Fakultäten für Physik (12 Prozent) und Mathematik (11 Prozent); dort ist der Frauenanteil jedoch auch bei den Praedocs und Postdocs niedrig – die FGGA-Pipeline leckt demnach im Clustervergleich besonders stark.

Mit den derzeitigen Bewertungskriterien stehe der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen jedoch in den Berufungsverfahren für Professuren mancher Felder vor dem Problem, dass die wenigen Frauen, die sich bewerben, auf weniger Publikationen oder Drittmittelprojekte verweisen können.

„Wichtigster Hebel sind die Tenure Track Stellen“

Dennoch konnten seit dem Jahr 2010 – als noch alle Professuren an der Fakultät von Männern besetzt waren – zumindest drei Professuren mit Frauen besetzt werden. „Das Problem werden wir nicht von heute auf morgen lösen können, aber zumindest bei den Tenure Tracks geht der Trend an der FGGA in die richtige Richtung“, so Meingast. Er sieht gerade die „Tenure Track-Stellen als den wichtigsten Hebel“ an, da sich in dieser Karrierestufe exzellente Wissenschafterinnen bewerben.

„Im Bereich der Tenure Track Stellen sind Frauen an der Fakultät mit 67 Prozent sehr gut repräsentiert, wobei das noch wenige Stellen betrifft“, bestätigt auch Gleichstellungsexpertin Schlögl. Um der Ungleichheit im Wissenschaftsbetrieb entgegenzuwirken, sieht sie generell zwei wichtige und sich ergänzende Handlungsfelder: Zum einen braucht gerade in den Naturwissenschaften die Pipeline mehr Zulauf.

Waltraud Schlögl

Um der Ungleichheit im Wissenschaftsbetrieb entgegenzuwirken, gelte es, mehr junge Frauen für MINT-Studien begeistern und die Löcher in der "Leaky Pipeline" zu stopfen, so Waltraud Schlögl von der Abteilung Gleichstellung und Diversität der Universität Wien. Foto: Universität Wien

„Es gibt nach wie vor eine hohe Hürde für Frauen, diese Fächer zu studieren. Der Gender Bias in Bezug auf diese Fächer ist tief verwurzelt, das fängt schon ganz früh an, sich auszuwirken - spätestens beim Einstieg in die Schule -, und wird durch das Schulsystem weiter vertieft“, erklärt Schlögl. Die Universitäten könnten hier ausgleichend wirken, indem MINT-Fächer inklusiver, offener und diverser gestaltet werden. „Beispielsweise gab es im anglo-amerikanischen Raum Versuche, die Curricula mit künstlerisch- kreativen  Fächern zu erweitern - mit dem Erfolg, dass sich tatsächlich mehr Frauen in die Fächer einschreiben“, so Schlögl.

Mehr Zulauf und die Pipeline dichten

Und zweitens müssten die Löcher in der Pipeline gestopft werden – was auch bedeutet, viele Lebensbereiche mitzudenken. „Die Anforderungen einer wissenschaftlichen Laufbahn wie Mobilität, permanente Präsenz usw. lassen sich nur sehr schwer mit anderen Lebensbereichen wie Familien und Partnerschaften in Einklang bringen. Das treibt mehr Frauen als Männer aus der Wissenschaft beziehungsweise verschafft denen einen Vorteil, die keine Sorgearbeit leisten oder von der Sorgearbeit anderer profitieren“, so die Gender-Forscherin.

Hinzu kommen männlich dominierte und ausschließende Netzwerke in der Wissenschaft. Die neue Kettenvertragsregelung werde die Situation hier noch verschärfen, da Frauen häufiger als Männer befristete Verträge haben. „Dadurch wird es noch schwieriger, über diesen Berg drüberzukommen“, vermutet auch Edlinger vom Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen.

Auch Mobbing oder sexuelle Belästigung seien ein Problem. Hier würden nur wenige Fälle gemeldet, doch sei zu vermuten, dass die Dunkelziffer hoch ist: „Auch wenn man den  Gerüchten nur die Hälfte glaubt, ist das ein wichtiges Handlungsfeld“, so Edlinger. Unterstützung gebe es da sowohl beim Arbeitskreis als auch beim Betriebsrat und der Beratungsstelle für Mobbing und sexuelle Belästigung sowie bei weiteren Stellen (siehe Intranet – Themen A-Z – Mobbing bzw. Beratungsstelle Sexuelle Belästigung und Mobbing – Login erforderlich).

Um die Pipeline nachhaltig zu dichten, müsste sich „die Wissenschaftskultur“ als Ganzes verändern und die Kriterien, wonach wissenschaftliche Leistung bewertet wird, fordern Schlögl, Edlinger und Meingast unisono. „Wir müssen weg von der reinen Quantität, beispielsweise der Publikationen, und hin zu diverseren Beurteilungskriterien“, sagt Schlögl. Dass das funktioniere, sehe man zumindest teilweise in den Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften – „dort sind mittlerweile deutlich mehr Frauen in Spitzenpositionen angekommen und es entstehen neue Netzwerke, auch eine neue, offenere Kultur“.

Diversität ist mehr als nur soziales Geschlecht

Dabei gelte es jedoch nicht nur den Faktor Gender im Auge zu behalten, sondern insgesamt mehr Diversität anzustreben: „Der Gender Bias ist nur ein Benachteiligungsmechanismus, andere sind vielleicht weniger greifbar, aber dennoch vorhanden“, erklärt Schlögl. Klar sei, dass es einen starken Bias nach sozialer Herkunft gibt, sagt Edlinger: „Universitäre Karrieren hängen stark mit dem sozioökonomischen Background zusammen – es sollte daher darum gehen, sozial Schwächere zu integrieren.“

Auch Religion, Hautfarbe, Herkunft oder sexuelle Orientierung oder Geschlechteridentitäten können stark ausschließend wirken: „Das Wissenschaftssystem ist insgesamt nach wie vor ausschließend gegenüber Herkünften oder Identitäten, die zu weit weg sind vom Bild des klassischen Wissenschafters – männlich, weiß, unabhängig, frei von Sorgearbeit, aus dem Bildungsbürgertum“, fasst Schlögl zusammen. Auch das Alter kann zum Handicap werden, beispielsweise wenn bestimmte Laufbahnstufen nicht rechtzeitig erreicht werden.

Bei allen Arten von Benachteiligung sei es im Hierarchie- und Karrieresystem an der Universität häufig schwierig, eine Beschwerde einzubringen: „Probleme mit Vorgesetzten werden häufig nicht offen thematisiert, denn es drohen womöglich Nachteile in Bezug auf  Empfehlungen oder Nicht-Entfristungen“, sagt Meingast. Dies hänge mit dem universitären Hierarchie- und Konkurrenzsystem zusammen und „sollte an der Universität generell breiter diskutiert werden“. Betroffene könnten sich aber jederzeit an den Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen wenden, ebenso wie an viele andere Stellen an der Universität Wien: „Wir suchen gerne gemeinsam den besten Weg!“

Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen

Der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen der Universität Wien unterstützt, berät und begleitet alle von Ungleichheit Betroffenen – Studierende, allgemeines und wissenschaftliches Universitätspersonal gleichermaßen – bei der Suche nach Lösung ihrer Anliegen. Konkrete Fälle werden selbstverständlich vertraulich behandelt und nur mit Einwilligung der Betroffenen an die entsprechenden Organe der Universität Wien herangetragen. Im Jahr 2021 feiert der Arbeitskreis sein 30-jähriges Bestehen.

Website
Neue Informationsbroschüre Oktober 2021

Ansprechpartner*innen für die FGGA:

Aus unserer Fakultät heraus gab es schon sehr früh Engagement für den Arbeitskreis, zu erwähnen ist hier die langjährige Vorsitzendes des Arbeitskreises, Anneliese Schnell. (Zum Nachruf)

Neue Informationsbroschüre Oktober 2021

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