Das All auf allen Größenskalen
Die Geburt und das Leben von Galaxien, Sternen und Planeten – das sind drei große Forschungsthemen der Wiener AstrophysikerInnen. Ihre Studien tragen auch zur Beantwortung der bedeutenden Frage bei: Unter welchen Bedingungen entsteht Leben im Universum?
1. Feb. 2016
„Mit den größten heute verfügbaren Teleskopen erscheinen die ersten Galaxien des Universums so groß wie die Wiener Innenstadt vom Mond aus“, sagt der Astrophysiker Bodo Ziegler. Daher ist es faszinierend, welche Einblicke die Astronomie über die frühen Sternsysteme zutage fördern kann. So konnte Ziegler, Leiter der Arbeitsgruppe „Extragalaktische Astrophysik“, mit seinem Mitarbeiter Helmut Dannerbauer etwa die Sternentstehung in einem Galaxienhaufen in zehn Milliarden Lichtjahren Entfernung vollständig erfassen. Sie blickten auf die Umgebung der riesigen „Spinnennetz-Galaxie“ mit Namen MRC 1138-262 mit dem APEX-Teleskop (Atacama Pfadfinder Experiment) der Europäischen Südsternwarte (ESO). „Das interstellare kalte Gas, aus dem die Sterne geformt werden, ist lichtundurchlässig. Aber mit Radioteleskopen wie APEX kann man das kalte Universum beobachten, so dass auch diese Gaswolken vermessen werden können“, sagt Ziegler. Bei ihrer Studie fanden die Astrophysiker u.a. heraus, dass Sternentstehung nicht nur größtenteils durch Staub verborgen wird, sondern auch an unerwarteten Orten stattfindet. Sie kamen somit dem geheimen Bauplan einer Galaxien-Metropole auf die Spur.
Um das Verständnis der Evolution von Galaxien voranzutreiben, muss man heute Galaxien aus verschiedenen kosmologischen Epochen studieren."
Bodo Ziegler, Professor für Galaxienentstehung im frühen Universum
Schon 500 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden die ersten Galaxien. In den darauffolgenden 13 Milliarden Jahren (bis heute) änderten sie immer wieder ihre Form und Zusammensetzung, aber auch neue Sternsysteme wurden gebildet. „Um unser Verständnis des Universums maßgeblich voranzubringen, muss man heute die komplette Entwicklung des Universums betrachten – von unserer Milchstraße bis zurück zu den ersten Galaxien“, sagt Ziegler. Dabei gehe es nicht nur um die Sternentstehung, sondern um alle physikalischen Aspekte der Galaxienevolution. Um diese zu studieren, „müssen wir Galaxien mit sehr unterschiedlichen Ansätzen in allen Wellenlängenbereichen – mit Röntgenstrahlen, im optischen Bereich, mit Infrarotstrahlung sowie mit Radiowellen – untersuchen. Wir sprechen vom Multiwavelength-Ansatz“.
Die physikalischen Eigenschaften von Galaxien erheben die ForscherInnen vor allem mit spektroskopischen Methoden. Mit einer speziellen Methode zur 3D-Spektroskopie hat ein Team um Bodo Ziegler jüngst 600 sehr unterschiedlich ausgeprägte Galaxien aus unserer Nachbarschaft über drei Jahre beobachtet und analysiert. Mit der neuartigen Methode konnten diese Galaxien genauer denn je in ihre physikalischen Eigenschaften wie z.B. ihre kinematischen Charakteristika, ihre chemische Zusammensetzung und ihre stellaren Populationen zerlegt werden. Dieses internationale Projekt CALIFA (Calar Alto Legacy Integral Field Area) fand am Calar-Alto-Observatorium im Süden Spaniens statt. In einem weiteren Projekt widmen sich Ziegler und sein Team Galaxien in fünf bis acht Milliarden Lichtjahre Entfernung. Der Schwerpunkt liegt hier auf potenziellen Wechselwirkungen zwischen den Sternsystemen, die dicht in einem Galaxienhaufen beieinander liegen. Auch hier kommen spektroskopische Methoden mithilfe der in der chilenischen Atacama-Wüste stationierten Großteleskope der ESO (deren Mitglied Österreich ist) zum Einsatz.
Frühe Sternentstehung
Wie entstehen diffuse interstellare Gaswolken, wie entwickeln sie sich und wie kollabieren sie, um Sterne und Planeten zu bilden? Das ist die zentrale Forschungsfrage von João Alves und seiner Arbeitsgruppe zur Stern- und Planetenentstehung. „Wenn man so will, fertigen wir Sonographien von schwangeren Wolken an. Um diese Gebärmütter der Sterne zu studieren, entwickeln wir verschiedene Methoden“, sagt der Astrophysiker. Um durch die interstellaren Gaswolken zu sehen, nutzt Alves vor allem Infrarotweltraumteleskope wie Herschel sowie die großen ESO-Teleskope.
Diffuse interstellare Gaswolken wandeln sich in Sterne, die ausbrennen oder gar explodieren, um dann wiederum die Vielfalt an Elementen zu produzieren, die letztendlich in unserem Blut sind.“
João Alves, Professor für Stellare Astrophysik
Ein Forschungsschwerpunkt von Alves ist die dreidimensionale Visualisierung von Daten aus dem All. Ihre 3D-Analysen offenbarten erst jüngst eine optische Täuschung, die bei der bisherigen zweidimensionalen Beobachtung von Sternenkonstellationen nicht zu erkennen war: Der Gould’sche Gürtel in der Milchstraße ist nicht wirklich ein „Sternenring“. Die ihn aufbauenden sogenannten O- und B-Sterne sind zumindest nicht ringförmig angeordnet, wie Alves und seine KollegInnen erkannten. Das stellt die Existenz des seit dem 19. Jahrhunderts beschriebenen Sternengürtels in der Nähe unserer Sonne in Frage. Im Rahmen des internationalen Projektes erstellten die ForscherInnen auch eine erste 3D-Karte der Sonnenumgebung. Durch ihre 3D-Analyse kamen sie zudem auf überraschende Fährten, wie diese O- und B-Sterne entstanden sind. Die Daten lieferte der ESA-Satellit „Hipparcos“.
Mit seiner neuartigen 3D-Methode ist Alves’ Gruppe auch beim Satellitenprojekt „Gaia“ der Europäischen Weltraumagentur ESA involviert: „ Diese Daten werden uns ermöglichen, die nahen Regionen der Sonne in bisher einzigartiger Auflösung rekonstruieren zu können sowie akkurate Karten von Sternen und ihrem interstellaren Gas zu erstellen. Sie werden einen genauen Blick auf unsere lokalen Nachbarn genauso zulassen wie sie auch zur Massenberechnung von Sternen dienen werden“, sagt João Alves. Die ersten Daten werden im Sommer 2016 zur Analyse veröffentlicht. Als einen weiteren Arbeitsbereich möchte sich Alves künftig auch stärker mit der großen Frage der Menschheit beschäftigen: Sind wir allein im All? „Wir wissen heute, dass jeder fünfte Stern einen erdähnlichen Planeten mit Wasser hat. Damit bekommt die Frage wieder neue Bedeutung“, so Alves.
Bedingungen für habitable Planeten
Die Frage, warum auf der Erde Leben möglich ist und auf anderen Planeten wiederum nicht, beschäftigt Manuel Güdel mit seiner Arbeitsgruppe „Stern- und Planetenentstehung“. In einem großen, gruppen- und institutsübergreifenden Verbund von ForscherInnen ergründet Güdel z.B. die astrophysikalischen Faktoren, die Planeten belebbar – oder im Fachausdruck „habitabel“ – machen.
Der heutige Zustand von Venus, Mars und Erde kann uns darüber aufklären, wie das junge Sonnensystem ausgesehen haben könnte. Damit beginnen wir, unsere eigene Herkunft zu verstehen.“
Manuel Güdel, Professor für Astronomie, Satelliten- und experimentelle Astronomie
Das von ihm geleitete Nationale Forschungsnetzwerk hat der FWF erst jüngst bis 2020 verlängert. Wie beeinflussen die Eigenschaften der Sterne die Planeten? Unter welchen Bedingungen überleben manche Uratmosphären auf Planeten und warum verdampfen einige? Welche Eigenschaften muss der Planet mitbringen, um Bedingungen für Leben und vor allem flüssiges Wasser zu schaffen? Und wie müssen letztendlich alle diese Faktoren zusammenspielen, damit am Ende ein habitabler Planet entsteht? „Das große Ziel ist, über unsere Modellierungen bis 2020 ein Gesamtbild über die verschiedenen Faktoren und ihr Zusammenspiel zu gewinnen“, sagt der Projektleiter. Dabei dient dem Team um Güdel zunächst unser Sonnensystem – vor allem die Erde mit ihren Nachbarplaneten Mars und Venus – als Studienfeld. Bei der Erde haben ihre Masse, die Strahlung der Sonne und die astronomische Architektur des Sonnensystems die Entstehung von Leben begünstigt. Die Gruppe arbeitet aber auch an extrasolaren Planetensystemen mit zum Teil ganz anderen Eigenschaften.
Im Zuge eines weiteren Projektes befasst sich Güdels Gruppe zudem mit dem Eigenleben der sogenannten protostellaren Scheiben, also den riesigen Gas- und Staubscheiben, aus denen sich später Planeten bilden können. „Es ist wichtig, die protostellaren Scheiben zu verstehen, damit wir verstehen, wo die Planeten herkommen, wo sie sich bilden, wie sie wachsen und wie sie eine erste Atmosphäre anziehen und bilden“, sagt der Astrophysiker. Das Projekt wird von der EU, dem FWF und der FFG gefördert.
Gleichzeitig sind Güdels Gruppe sowie weitere ForscherInnen des Instituts für Astrophysik an einer Reihe von Weltraummissionen beteiligt. So erarbeitet ein Team um Franz Kerschbaum Forschungstechnologie wie z.B. die Steuerungssoftware an Bord von Satelliten. Über ihre Aktivitäten bei den geplanten ESA-Exoplanetenmissionen PLATO, CHEOPS und ARIEL, bei der ESA-Planetenmission SMILE sowie beim Bau des James-Webb-Teleskops (NASA und ESA) und des ESA-Röntgenteleskops Athena sind die Teams um Güdel und Kerschbaum etwa auch bei der künftigen Auswertung der Beobachtungsdaten dabei.
Instrumente für das ESO-Riesenteleskop
Auch drei Instrumente des derzeit im Bau befindlichen European Extremely Large Telescope (E-ELT) werden unter österreichischer Beteiligung und unter Leitung der Wiener Astrophysiker gebaut: Das ESO-Riesenteleskop mit einem Hauptspiegel von 39 Metern Durchmesser soll das weltweit größte Teleskop für sichtbares Licht und das nahe Infrarot werden. Die Kamera MICADO „Multi-AO Imaging Camera for Deep Observations" soll es später einmal erlauben, präzisere Abbildungen bei Nah-Infrarot-Wellenlängen zu machen. Der "Mid-Infrared ELT Imager and Spectrograph" (METIS) wird hoch auflösende Daten im mittleren Infrarotbereich liefern. Das dritte Instrument „MOSAIC“ soll später einmal spektroskopische Analysen sehr ferner Galaxien zulassen. Das österreichische Team entwickelt dabei u.a. Komponenten für die Datenreduktionssoftware der Instrumente.