Markante Fährten im Gestein

Die Kräfte im Erdinneren wie auch externe Umwelteinflüsse prägen die Struktur des Sediments. Es gibt Aufschluss über erdgeschichtliche und großräumige geologische Prozesse – und lässt die Wiener Geologinnen das Gefährdungspotenzial starker Erdbeben ebenso ableiten wie den Einfluss des Menschen auf das System Erde.

1. Feb. 2016

In Höhlen gut erhaltene Gesteine als Langzeitarchive: Sie erlauben es GeologInnen, in die Vergangenheit zu blicken und vergangene Prozesse an der Erdoberfläche, klimatische Veränderungen und tektonische Aktivitäten zu verstehen.

 

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Geologische Kräfte halten die Alpen in Bewegung. In den Ostalpen schiebt sich das Gebirge laut Erhebungen anderthalb Millimeter pro Jahr in Richtung Osten. Nicht ohne Erdstöße zu erzeugen. Nur knapp über ein Dutzend von den 100 jährlichen Erdbeben in Österreich sind dabei für die Bevölkerung wahrnehmbar. Ob „schwere“ Erdbeben – jene oberhalb der Stärke 6 auf der Richterskala  – in den Ostalpen auch vorkommen könnten, ist unsicher. Starke Beben können sich auch nur in Abständen von tausend oder mehreren tausend Jahren wiederholen, die seismologischen Aufzeichnungen sind dafür zu jung. Um große Beben zu erfassen, nutzt die Arbeitsgruppe „Strukturelle Prozesse“ ein besonderes Archiv der Erdgeschichte.

Archiv Höhle

Die ForscherInnen suchen nach Bewegungsspuren in Höhlen: Denn hier, bisweilen in mehreren hundert Metern Tiefe, lassen sich Erdbeben anhand von Kratzern und Störungen im Kalksinter nachvollziehen. „In den Alpen finden wir kaum Beweise für aktive Tektonik, also tektonische Bewegung in den vergangenen 10.000 Jahren. Die letzte Eiszeit hat die Alpen so stark erodiert, dass jedes Signal verwischt worden ist. In Höhlen sind die Signale aber gut erhalten“, sagt Arbeitsgruppenleiter Bernhard Grasemann.

Der Ruf der Strukturgeologie in Wien geht vor allem auch darauf zurück, dass sie Geländegeologie mit einer numerischen Modellierung von Deformationsprozessen kombiniert.“


Bernhard Grasemann, Professor für Geodynamik und allgemeine Geologie

In Zusammenarbeit mit dem Naturhistorischen Museum Wien sammeln die GeologInnen in mehreren Höhlen Hinweise auf Erdbeben aus den vergangenen 500.000 Jahren. Ihre Daten aus den Ostalpen vergleichen sie mit Daten aus Sinterhöhlen der südlichen Ägäis – einer tektonisch sehr aktiven Region. Ihre Ergebnisse ergänzen nicht nur historische Aufzeichnungen: „Kennen wir die Wiederholungsrate von Erdbeben, können wir auch genauere Aussagen über Wahrscheinlichkeiten treffen“, sagt der Leiter des Instituts für Geodynamik und Sedimentologie. Das FWF-Projekt „Speleotect“ ist die erste umfassende Studie der quartären Tektonik in den Ostalpen.

Der Geologe Kurt Decker untersucht hingegen aktive Tektonik im Wiener Becken. Er konnte 2015 eindrücklich zeigen: Unter dem Wiener Becken gibt es so große Bruchlinien und Störungssysteme, dass sie ein sehr starkes Erdbeben auslösen könnten. Gleichzeitig bergen die Strukturanalysen des Wiener Beckens und von anderen tektonisch geprägten Regionen erdölgeologische Informationen. Aktive und inaktive Störungen steuern maßgeblich, wo sich Fluide wie z.B. Kohlenwasserstoffe – etwa Öl - in der Erdkruste ansammeln können. So betreibt das Institut auch einige Grundlagenforschungsprojekte mit Anbindung der Ölindustrie.

Prozesse der Gesteinsdeformation

Die Analyse des Verhaltens von Deformationsgesteinen an natürlichen Störungen ist ein Schwerpunkt der Arbeitsgruppe „Strukturelle Prozesse“. Zudem: „Duktile“, also plastische Gesteinsdeformationen stehen derzeit im Fokus einer Dissertation. Gletschereis verhält sich unter Oberflächenbedingungen ähnlich wie duktiles Gestein in etwa 20 Kilometern Tiefe bei 400 bis 500 Grad Celsius (z.B. bei Marmor). Verschiebungen im Eis können damit Aufschluss geben über das Gesteinsverhalten in größerer Erdtiefe, das man nicht unmittelbar beobachten kann. So wollen die ForscherInnen um Grasemann und seinen Kollegen Martin Schöpfer die Pasterze am Großglockner, Österreichs größter Gletscher, als Analoglabor nutzen und das Fließ- und Störungsverhalten des Eises modellieren.

Der numerischen Modellierung von Calderen – Vulkankrater nach Einsturz der Magmakammer – nimmt sich ein weiteres Projekt ab 2016 an. Es gewann den Förderpreis der Fakultät, den „Emerging Field Grant 2015“. Es geht um die Frage, wie Calderen kollabieren. Ziel ist, hochmoderne dreidimensionale Computersimulationen von ruhelosen Calderen zu entwickeln, die Einsicht in vulkanische Tiefenprozesse geben. Und die letztendlich dazu beitragen, das Gefahrenpotenzial der Krater besser einschätzen zu können. Dafür sammeln die ForscherInnen Daten der Einsturzkrater auf den Kanarischen Inseln.

Kleine Spuren, große Tragweite

Wie sind Sedimentgesteine aufgebaut? Welche Ablagerungsprozesse geben die Schichtabfolgen preis? Was sind Einflüsse von Ablagerungsdynamiken und Umweltbedingungen? Diesen Fragen widmet sich die Arbeitsgruppe „Sedimentologie und Stratigraphie“. Sie erhebt zum Beispiel das Potenzial von Gesteinen, Erdöl zu speichern. Sie befasst sich mit dem Klima auf unserem Planeten vor 10.000 bis 100.000 Jahren. Und sie erfasst Meeresspiegelschwankungen unter den paläoklimatischen Verhältnissen, um auch Rückschlüsse auf Veränderungen unter dem aktuellen Klimawandel ziehen zu können.

Die vielschichtigen Forschungsfragen der SedimentologInnen ergänzt eine derzeit viel debattierte Grundsatzfrage unter GeologInnen: „Wann wurde bzw. wird der Einfluss des Menschen auf die Umwelt so stark, dass der Mensch im System Erde sogar geologische Prozesse prägt? Ist also das sogenannte Anthropozän bereits angebrochen? Und wenn ja, seit wann?“ Es gehe also um den Menschen und seinen biologischen, geologischen und atmosphärischen Fußabdruck, sagt der Geologe Michael Wagreich.

Angekommen im Anthropozän?

Der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen brachte als einer der Ersten den Terminus 2000 auf. Ob das Anthropozän bereits begonnen hat, darüber ist sich die Forschung uneins. Wagreich ist – neben Crutzen und anderen KollegInnen – Mitglied einer Arbeitsgruppe der Subkommission „Quartäre Stratigraphie“ der Internationalen Kommission für Stratigraphie (ICS). Diese ist für die Benennung von geologischen Zeitaltern zuständig und prüft derzeit, ob und wann eine Festlegung des Anthropozäns sinnvoll wäre.

Das Anthropozän ist in aller Munde. Es gibt viele Nachweise für menschliche Einflüsse. Das neue Erdzeitalter sollte damit nun auch definiert werden.”


Michael Wagreich, stellvertretender Departmentleiter

In einer Publikation kamen die ForscherInnen 2015 zu dem Schluss: Von der Stratigraphie her ideal wäre, den Beginn des Anthropozäns ins Jahr 1945 zu legen. Durch die Atombombenexplosion und die Atombombenversuche in den Folgejahren seien artifizielle radioaktive Isotope in die Atmosphäre gekommen, die sich weltweit verbreitet haben. „Die Plutonium-Isotope sind als Marker im Eisbohrkern in der Antarktis dieselben wie in einem See in Europa oder in Eisbohrkernen in Grönland“, sagt Wagreich. Im Januar 2016 veröffentlichten Wagreich und international Kollegen eine Artikel in der renommierten Fachzeitschrift “Science”: Sie führten darin Aspekte an, die für ein anthropozänes Zeitalter sprechen. Kritiker verweisen aber u.a. darauf, dass das radioaktive Material heute noch vertragen und abgebaut wird und ein Zeitalter nicht auf Basis aktiver Prozesse definiert werden kann.

Wagreich und sein Team wollen noch andere Marker für den Beginn des Anthropozäns – als Nachfolger des 11.700 Jahre alten Holozäns – prüfen. So stehe etwa auch eine starke Aerosolverbreitung und Ablagerung von Blei-Partikeln auf der Nordhalbkugel in Verbindung mit dem starken Erzabbau Ende der Bronzezeit. „Man kann mittels Isotopenanalysen in den Sedimenten das Blei aus jener Zeit stratigraphisch nachweisen“, so Wagreich, der vor allem See- und Flusssedimente analysiert. „Uns interessiert die Vertragungsgeschichte dieser ersten ausgedehnten Umweltverschmutzung des Menschen.“ So verspricht sich der Geologe auch entsprechende Blei-Nachweise in Ablagerungen vor rund 3.000 Jahren in Österreich. Aber auch rezente Phänomene interessieren die StratigraphInnen: Belege für menschliches Handeln, etwa den Gebrauch von Plastik, finden sich zum Beispiel in Form von mikroskopisch kleinen Kunststoffpartikeln in jungen Sedimentschichten. Der Begriff „Plastik-Stratigraphie“ wurde bereits etabliert.

Department für Geodynamik und Sedimentologie