Genese der Gesteine
Die Lebensgeschichte von Gesteinen spiegelt sich in deren Mineralinhalt und Struktur: Die LithosphärenforscherInnen liefern mit ihren kleinskaligen Gesteinsanalysen die Basis dafür, großräumige geologische Prozesse auf der Erde zu verstehen wie auch extraterrestrische Spuren in der Erdkruste sicherzustellen.
1. Feb. 2016
Im äußersten Nordosten Russlands, auf der sibirischen Halbinsel Chukotka liegt der 18 Kilometer große Krater „El’gygytgyn“. Die vor 3,6 Millionen Jahren durch einen Meteoriteneinschlag entstandene Formation zieht seit Jahren wissenschaftliches Interesse auf sich: „El’gygytgyn“ ist der einzige auf der Erde bekannte Einschlagkrater in sauren vulkanischen Gesteinen. „Wir können hier anhand der Bohrkerne das Schockverhalten der sauren Untergrundgesteine untersuchen, was einzigartig ist“, sagt der Impaktforscher und Geochemiker Christian Köberl, der zudem dem Naturhistorischen Museum (NHM) Wien vorsteht.
Neue analytische Verfahren ermöglichen es uns heute, Fingerabdrücke von Meteoriten im Impaktgestein zu nehmen und damit auf die Natur der Impaktkörper rückzuschließen.“
Christian Köberl, Professor für Impaktforschung und planetare Geologie
Mit seiner Arbeitsgruppe an der Uni Wien ist Köberl an dem internationalen Bohrprojekt „El’gygytgyn“ des „International Continental Scientific Drilling Program“ (ICDP) seit Anbeginn beteiligt. Im Zuge eines Folgeprojektes, gefördert durch den FWF, haben die ForscherInnen die aus dem Kratersee gezogenen Bohrkerne analysiert und nach Möglichkeiten gesucht, wie sich das Vulkangestein des Untergrunds von jenem Gestein unterscheiden lässt, das von dem Meteoriteneinschlag beeinflusst wurde.
Ein zweites großes ICDP- und IODP-Bohrprojekt (IODP = International Ocean Discovery Program) führt die Wiener WissenschafterInnen 2016 nach Yucatán, Mexiko, zum bekannten „Chicxulub“-Krater. Der dortige Einschlag eines besonders großen Asteroiden gilt nach einer gängigen Theorie als Auslöser des weltweiten Massensterbens vor 65 Millionen Jahren, dem auch die Dinosaurier zum Opfer fielen. Der Krater ist bis heute gut erhalten und damit ein wichtiges natürliches Labor für die Impaktforschung. In dem neuen Bohrprojekt wollen die Partner – Christian Köberl ist einer von sechs „Principal Investigators“ – die Ringform des Kraters und das Verhalten der Gesteine im Zuge des Einschlags näher untersuchen sowie die durch den Einschlag ausgelösten Umweltveränderungen analysieren, die zum globalen Massensterben geführt haben sollen.
Vom Einschlag zur Geo- und Kosmochemie
Köberls Arbeitsgruppe ist neben der Impaktforschung auch in der Geo- und Kosmochemie aktiv: „Denn wir versuchen, neben der Entstehung von Impaktkratern auch die dabei ablaufenden physikalischen, chemischen und geologischen Prozesse zu verstehen.“ Dafür nutzen die ForscherInnen Isotopenanalysen wie auch geochemische und geochronologische Verfahren in ihren eigenen Laboren. Seit kurzer Zeit steht mit der Osmium-Isotopenanalyse ein analytisches Verfahren am Department zur Verfügung, das nur an wenigen Standorten weltweit etabliert ist. Es dient u.a. zum Nachweis extraterrestrischer Spuren in dem vom Einschlag beeinflussten Gestein. Mit ihm „erhalten wir quasi eine Art Fingerabdruck vom einschlagenden Körper“, so der Arbeitsgruppenleiter.
Große Meteoriteneinschläge beeinflussen in der Regel Material aus der Erdkruste. Dabei entstehen „Impaktbrekzien“ (i.e. verfestigte Trümmergesteine) oder Schmelzgesteine. Die Isotopenanalysen helfen den ForscherInnen, die extrem geringe Beimengung extraterrestrischen Materials - der Großteil des Meteoriten verdampft im Zuge des Einschlags - von der großen Menge irdischen Gesteins abgrenzen zu können. Denn die größte Klasse der Meteorite, die Chondrite, enthalten im Vergleich zu Erdgesteinen einen sehr hohen Anteil an „siderophilen“, also eisenliebenden Elementen. Darunter finden sich Platinmetalle wie etwa Iridium und Osmium, die hier etwa 50.000-mal häufiger vorkommen als im Erdkrustengestein. Über die Anreicherung der Platinmetalle und über die Verhältnisse der Elementen zueinander (z.B. das Rhenium(Re)-Osmium(Os)-Verhältnis und das Verhältnis der Isotope 187Os zu 188Os) kann die Forschung heute nachweisen, dass und wie viel extraterrestrische Komponente im Impaktgestein vorhanden ist. „Daraus können wir auch auf die Art des Meteoriten schließen“, sagt Köberl.
Gesteinsforschung im Labor
Die theoretische und experimentelle Analyse von Gesteinen, ihre Eigenschaften und ihre Entstehungsgeschichten sind Schwerpunkt der Arbeitsgruppe um den Petrologen Rainer Abart: „Ob auf der Erde, in Mondgesteinen, in Meteoriten, in einem Schmelzofen des Linz-Donawitz-Verfahrens oder bei der Herstellung von Grobkeramik: Uns beschäftigen jegliche Prozesse der Gesteinsbildung“, sagt der Arbeitsgruppen- und Departmentleiter. Dabei liege ein Fokus auf der Gesteinsbildung im hochtemperierten Bereich, wie er in der Erdkruste und im Erdmantel zu finden ist.
Man kann die Dynamik der Erdkruste und des Erdmantels nur dann nachvollziehen, wenn man das Material versteht, aus dem diese geologischen Einheiten aufgebaut sind.“
Rainer Abart, Professor für Theoretische und experimentelle Petrologie
Die Arbeit der Steinkundler ähnelt in mancher Hinsicht jener von Medizinern: „Statt Gewebeproben für histologische Analysen machen wir Gesteinsschnitte oder Anschnitte für Detailanalysen“, sagt Abart. So liefere die optische Mikroskopie mit einer Auflösung von bis zu einem Mikrometer „schon sehr viel diagnostische Hinweise, woraus das Gestein besteht“. Viele Strukturen in Gesteinen sind aber weitaus kleiner. Über die Rasterelektronenmikroskopie blicken die PetrologInnen auf Strukturen mit bis zu zehn Nanometern lateraler Auflösung. Die Elektronenstrahlmikrosonde und das Rasterelektronenmikroskop liefern zudem Informationen über die chemische Zusammensetzung des Materials, sowie über Kristallstrukturen und Orientierungen.
„Prozesse wie magmatische Kristallisation, Metamorphose oder Gesteinsdeformation spielen sich auf atomarer Ebene ab. Sie haben aber großräumige Implikationen: Verstehen wir die kleinskaligen Prozesse, die der Gesteinsbildung zugrunde liegen, dann können wir auch das Gesamtverhalten des Materials einordnen“, sagt Abart. Kennt man die Reaktionen von Gesteinen auf Temperatur- und Druckveränderungen, lässt sich z.B. auch die Bewegung von tektonischen Platten besser nachvollziehen.
Materialwissenschaft an Geomaterialien
Abarts Gruppe versteht sich als MaterialwissenschaftlerInnen an geologischen Materialien. Die Übertragung von Konzepten der Materialwissenschaft auf geologische Systeme war auch Ziel des Projektes „Nanoskalige Prozesse und Eigenschaften von Geomaterialien“ (2008-2016), gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und vom FWF. Das interdisziplinäre Team hat untersucht, wie und wie schnell sich etwa Substanzen durch geologisches Material bewegen. Oder wie Informationen zur Entstehung von Mineralien in den Bausteinen der Gesteine gespeichert sind.
„Wir wollen die Reaktionsmechanismen der Geomaterialien, vor allem im festen Zustand, verstehen, diese experimentell kalibrieren und auf natürliche Gesteine umlegen“, sagt Abart, der gemeinsam mit Wilhelm Heinrich vom GeoForschungsZentrum Potsdam das Projekt leitet. 2014 konnten die ForscherInnen u.a. nach Experimenten an Kristallen unter bestimmtem gerichteten Stress Kristallorientierungskarten erstellen: Sie zeigen, bei welchem Druck welche Art von Kristallwachstum stattfindet.
In Projekten mit Anbindung der Industrie widmet sich Abarts Gruppe zudem Gesteinen künstlicher Herstellung, z.B. Feuerfestmaterialien und Schlacken. Hier steht vielfach die Optimierung von Herstellungsprozessen im Vordergrund, um etwa die Grobkeramik noch feuerfester werden zu lassen. Auch bei den Werkstoffen gilt: Die Bildungsprozesse bestimmen die Materialeigenschaften.