Gefahrenkarten wie Schokotorten gestalten

22.12.2017

Seit 1999 setzen heimische Lawinenwarndienste für die Kommunikation winterlicher Naturgefahren auf Kartografie-Kompetenz vom Institut für Geographie und Regionalforschung. Das gemeinsam entwickelte LawinenwarndienstInformationssystem LAWIS wird laufend weiterentwickelt. In einem INTERREG Projekt wird nun grenzüberschreitende Geokommunikation für die Region Tirol, Südtirol, Trentino zum Einsatz gebracht. Projektleiter Karel Kriz erklärt, was gute Gefahrenkarten mit Schokotorten gemeinsam haben.

Die Lawinengefahr einzuschätzen und Zielpersonen – von der Behörde bis zum Wintersport – auf prompt und präzise zu informieren, ist Aufgabe der sieben Lawinenwarndienste in Österreich. Das Unglück von Galtür 1999 war der Auslöser für die interdisziplinäre Verbesserung der Gefahrenkommunikation. Damals entwickelten Fachleute vom Lawinenwarndienst Tirol gemeinsam mit einem Team vom Institut für Geographie und Regionalforschung um Karel Kriz die erste Version des Lawinenwarndienst Informationssystems LAWIS.

In Österreich liegen gut sechs Monate pro Jahr Schnee. Entsprechend gut ausgebaut sind Strukturen, um kurz- oder langfristige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu setzen: Von der individuellen Skitourenplanung, über Lift-oder Straßensperren, bis zum Bebauungsplan. Fixe und variable Parameter sowie der „Faktor Mensch“ sind Basis für begründete Entscheidungen über die aktuelle Lage. Während sich die technischen Möglichkeiten für Kommunikation und Berechnung von Informationen erheblich verändert haben (Stichwort Algorithmen, Internet und Social Media), bleibt die Kunst der Kartengestaltung unverändert aktuell. „Kartografie ist im Herzstück eine Kommunikationsform“, betont Karel Kriz, der gerade die dritte Version von LAWIS ausgerollt hat.

Die Kompetenzen des Instituts der Universität Wien umfassen die methodisch-technische Abwicklung, die automatisierte Gestaltung verschiedener Karten und das Entfachen einer kleinen Revolution. LAWIS verarbeitet heute nicht mehr nur Informationen der Landeswarndienste, sondern auch Eingaben von Freiwilligen aus Berg- und Wintersport, Tourismus- oder Infrastrukturbetrieben. Kartografie im Hochgebirge ist eine hohe Kunst, weil sehr viele Parameter (u.a. Meteorologie, Schneeverteilung, Pflanzendecke, Geländeform und Exposition der Hänge) gewichtet und abgewogen werden müssen: „Wir haben gemeinsam mit den Profis bei den Warndiensten passende Modelle entwickelt, um Entscheidungen zu untermauern“, so Kriz, der seit 25 Jahren selbst Hochgebirgsexkursionen in die Silvretta Gruppe leitet.

LAWIS, das Online Tool zur Kommunikation alpiner Wintergefahren wird in Version 3.0. automatisch mit aktuellen Daten von mittlerweile 376 Wetterstationen gefüttert, aber auch mit Schneeprofilen (Querschnitte durch die Schneedecke beschreiben Geschichte und Zustand der meteorologischen Einflüsse zur Zeit der Entstehung) und Beschreibungen von Ereignissen. Die aktuelle Lawinenwarnstufe und viele andere Informationen werden der bergaffinen Öffentlichkeit in jeder Hinsicht zugänglich gemacht und die Zugriffszahlen steigen. Durch die Einbindung von Freiwilligen wird die Informationsbasis verbreitert und die Qualität der eingespeisten Daten ist zumeist hoch.

„Gelungene Geokommunikation vermeidet durch gute Gestaltung Überforderung. Wir machen in LAWIS komplexe und veränderliche Raum- und Zeit-Informationen in verschiedenen Darstellungen erfassbar“, erläuterte Karel Kriz. Er vergleicht gute Kartendarstellungen mit Schokotorten: Durch die ästhetisch ansprechende Form werden Menschen angelockt und wenn die Aufmerksamkeit da ist, werden stückweise wichtige Informationen gegeben. Neben Ästhetik und Aufbereitung gilt es, bewährte Gestaltungsregeln einzuhalten. Um im Bild zu bleiben: Wenn man eine ganze Schokotorte auf einmal isst, wird einem schlecht, denn es waren zu viele Informationen auf einmal darin. Manche Karten werden als Zutatenhaufen gestaltet, die man sich im Kopf zur Torte zusammensetzen soll. „Eine gute Kartendarstellung ist schön, transportiert Informationen stückweise und verrät vielleicht auch noch, wo Schlagobers zu finden wäre“.

Was mit einem Vertrag mit dem Land Tirol begann, mündete über die Jahre in Verträge mit sechs von sieben Lawinenwarndiensten Österreichs und dem europaweiten Netzwerk European Avalanche Warning Services (EAWS). In einem aktuellen EU-Interreg Projekt (ALBINA) wird bis Mitte 2019 an der grenzüberschreitenden state of the art Lawinenwarnung für die Region Tirol, Südtirol und Trentino (Italien) gearbeitet. Klingt trivial, ist es aber nicht. Im Gegensatz zur Luftraumüberwachung endet Lawinenbeobachtung aufgrund von unterschiedlichen Zuständigkeiten in Europa bisher an jeder Staatsgrenze.

In dem Projekt wirken mit:

Team Universität Wien: Karel Kriz, Alexander Pucher, Daniel Nell, Leonhard Brunauer, Adam Mertel
Team Lawinenwarndienste: Rudi Mair, Patrick Nairz, Alexander Podesser, Gernot Zenkl

Zum Thema Kartografie, Warndienste und Katastrophenschutz:

Die Universität Wien bietet seit 2015 einen postgradualen Universitätslehrgang in enger Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Krisen- und Katastrophenschutzmanagement (SKKM) des Bundesministeriums für Inneres an. Einzelne Module können auch in Form von 4 verschiedenen Zertifikatskursen absolviert werden.


Geländearbeit im Jamtal/Tirol, Schneeprofilanalyse mit Patrick Nairz vom Lawinenwarndienst Tirol (Copyright: Karel Kriz)

LAWIS Stationenansicht (Copyright: Karel Kriz)

LAWIS Schneeprofilansicht (Copyright: Karel Kriz)

LAWIS Ereignisansicht (Copyright: Karel Kriz)

EAWS Startportal (Copyright: Karel Kriz)