Wien als Referenzpunkt für das Anthropozän?

20.05.2022

Die Anthropozän-Working Group diskutierte Vorschläge für globale Referenzpunkte, darunter Seen, Meeresbuchten und Moore. Wien findet sich als zusätzlicher Referenzpunkt auf der Liste: Der Geologe Michael Wagreich stellte in Berlin zusammen mit der Doktorandin Kira Lappé und der Künstlerin Katrin Hornek Proben vor, die am Karlsplatz - an der Baustelle für die Neugestaltung des Wien Museums – gemeinsam mit der Wiener Stadtarchäologie genommen wurden und bei der Radionuklide aus Atombombentests nachgewiesen wurden. In Berlin ist unterdessen noch bis Oktober die Ausstellung „Earth Indices – Die Verarbeitung des Anthropozäns“ zu besichtigen.

 

Klimaerwärmung, Meeresspiegelanstieg, Umweltverschmutzung: Dass der Mensch unseren Planeten tiefgreifend verändert hat, steht mittlerweile außer Frage. Inwieweit dies auch die Ausrufung eines neuen geologischen Zeitalters - des "Anthropozäns" - rechtfertigt, wird seit einigen Jahren diskutiert.

Zur Frage, welcher Ort am besten die erdverändernde Wirkung des Menschen repräsentierte, tagte Mitte Mai in Berlin die Anthropozän-Arbeitsgruppe der Internationalen Kommission für Stratigraphie (ICS). In einem Artikel im Fachjournal „Science“ wurden zuvor zwölf mögliche Referenzpunkte gelistet – einer davon ist der Wiener Karlsplatz.

Der Mensch als geologischer Faktor

Den Begriff des „Anthropozäns“ haben im Jahr 2000 der niederländische Atmosphärenforscher und Nobelpreisträger Paul Crutzen und der US-Biologe Eugene Stoermer geprägt, weil der Mensch bereits zu einem geologischen Faktor geworden sei. 2009 setzte die ICS eine Arbeitsgruppe ein, der u.a. der Geologe Michael Wagreich von der Universität Wien angehört. Sie soll beurteilen, ob dieser Vorschlag wissenschaftlich Sinn macht und wann das neue Erdzeitalter, das „Anthropozän“ beginnen soll. Nötig wäre dafür eine offizielle geologische Definition, und für diese benötigt man u.a. ein "golden spike", einen global gültigen Referenzpunkt, an dem sich am besten der menschliche Einfluss an den Gesteinsschichten ablesen lässt – beispielsweise anhand von Plutonium und anderen Radionukliden aus Atombombentests, Rußpartikeln aus Industrieemissionen, Ablagerungen von Mikroplastik oder Veränderungen der Kohlenstoff- und Stickstoffchemie durch Treibhausgasemissionen.

Suche nach dem "golden spike"

In einem Artikel des Fachjournals "Science" wurden nun aussichtsreiche Kandidaten für einen solchen "golden spike" des Anthropozäns aufgelistet, darunter Seen in Kanada oder China, Meeresbuchten oder ein Moor in Polen, Höhlenablagerungen in Italien, das antarktische Eisschild und Korallenriffe. Unter den zwölf Vorschlägen fand sich auch der Wiener Karlsplatz, der bereits seit längerem vom Geologen Michael Wagreich untersucht wird.

Wagreich stellte in Berlin Proben vor, die am Karlsplatz – im Zuge der Neugestaltung des Wien Museums - von der Doktorandin Maria Meszar gemeinsam mit der Stadtarchäologie Wien  genommen wurden und von Karin Hain (Isotopenphysik Univ. Wien) analysiert wurden. „Diese Proben zeigen, wie schnell die menschengemachten Ablagerungen innerhalb einer Stadt anwachsen. Außerdem konnten wir, meines Wissens erstmals in Stadtsedimenten, Radionuklide wie Plutonium 239 und 240 von den atmosphärischen Atombombentests zwischen 1950 und 1964 nachweisen", sagte Wagreich. Wien sei jedoch nicht als globaler „golden spike“ wahrscheinlich, da die Abfolge der Schichten nicht klar genug sei. Die Stadt könne aber als zusätzlicher Punkt zum Vergleich mit den anderen Referenzpunkten dienen, so Wagreich in einem APA-Artikel.

Alle zwölf vorgeschlagenen Referenzpunkte wurden auch als Web-Ausstellung aufbereitet und zugänglich gemacht.

Bei dem Treffen der Anthropozän-Arbeitsgruppe (AWG) Mitte Mai in Berlin präsentierten die Teams die Argumente für ihren jeweiligen Standort-Vorschlag; darauf folgen mehrmonatige Beratungen – die Auswahl soll anschließend bis Dezember bekannt gegeben werden, falls sich 60 Prozent der AWG-Mitglieder auf einen Standort einigen. Die endgültige Entscheidung trifft schlussendlich die International Union of Geological Sciences.

Earth Indices - Die Verarbeitung des Anthropozäns

  • Das Thema wird zudem laufend auch aus künstlerischer Sicht begleitet: Eine Ausstellung der Künstler*innen Giulia Bruno und Armin Linke erforscht die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen, die das neue geologische Zeitalter des Anthropozäns hervorbringen. Die Ausstellung „Earth Indices – Die Verarbeitung des Anthropozäns“ läuft am Berliner Haus der Kulturen der Welt noch bis Oktober.
  • Die zwölf vorgeschlagenen Referenzpunkte werden zudem in einer Online-Ausstellung ausführlich vorgestellt: The Geological Anthropocene
Foto: Antarktis - CC, Siggy Nowak auf Pixabay

Für die mögliche Ausrufung des "Anthropozäns" braucht es zunächst eine Definition - und dazu einen globalen Referenzpunkt. In einem Artikel im Fachjournal "Science" wurden aussichtsreiche Kandidaten für einen solchen "golden spike" des Anthropozäns aufgelistet, darunter Seen in Kanada oder China, Meeresbuchten oder ein Moor in Polen, Höhlenablagerungen in Italien, das antarktische Eisschild und Korallenriffe.

Foto: Antarktis - CC, Siggy Nowak auf Pixabay

Karlsplatz in Wien. Foto: CC, Pixabay

Unter den zwölf Vorschlägen fand sich auch der Wiener Karlsplatz, der bereits seit längerem von einem Forschungsteam um den Geologen Michael Wagreich in Zusammenarbeit mit der Stadtarchäologie Wien untersucht wird. Foto: Judith Silberling, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 AT

Michael Wagreich. Foto: Martin Lifka

Die Proben vom Karlsplatz "zeigen, wie schnell die menschengemachten Ablagerungen innerhalb einer Stadt anwachsen. Außerdem konnten wir, meines Wissens erstmals in Stadtsedimenten, Radionuklide wie Plutonium 239 und 240 von den atmosphärischen Atombombentests zwischen 1950 und 1964 nachweisen", sagt Michael Wagreich. Wien sei jedoch nicht als globaler „golden spike“ wahrscheinlich, da die Abfolge der Schichten nicht klar genug sei. Die Stadt könne aber als zusätzlicher Punkt zum Vergleich mit den anderen Referenzpunkten dienen.

Foto: Martin Lifka